師(师)父! Shifu!
Von Aznous Boisseranc (Chile)
Wenn die Meister Shifu 師父 im alten China eine Person als "Innereren Schüler" Tudi 徒弟, Dizi 弟子aufnahmen, musste der Dizi in das Haus des Meisters ziehen. Der Meister seinerseits musste ihm nicht nur ein bestimmtes Wissen zukommen lassen, sondern ihn auch erziehen, ernähren und kleiden. So erfüllte der Meister die Aufgaben eines Meisters und eines Vaters für den Dizi. Und folglich betrachtete der Dizi, der über die Fürsorge seines Meisters dankbar war, ihn für den Rest seines Lebens als Vater. Wie das chinesische Sprichwort sagt: 一日为師,终生为父。(Yī rì wéi shī, zhōngshēng wèi fù), was man wie folgt übersetzt: "Einen Tag ein Meister zu sein, bedeutet ein Leben lang ein Vater zu sein". Das bedeutet, dass in der chinesischen Kultur die Lernmethode darin besteht sich EINEN Meister zu suchen, und nicht wie bei den Menschen im Westen, die hier und dort hin gehen um dieses und jenes auszuprobieren.
Diese traditionelle Lehrbeziehung ist in der Gegenwart sehr selten zu finden, da die Gesellschaft und die Lebensbedingungen dies kaum noch zulassen. Nicht nur diejenigen, die Gong-Fu lehren, werden Shifu 師父 genannt, sondern auch diejenigen, die chinesische Oper, Kalligraphie oder eine andere Kunst lehren, die in einer Tradierung überliefert wird. In diesen Bereichen ist die Beziehung zwischen dem Schüler und dem Meister immer eine Beziehung von Respekt und Freude. Der Meister kann älter oder jünger sein als man selbst.(師师父不分年龄大小 Shifu bu fen nianling daxiao)
In China ist es kein Problem jemanden Meister zu nennen, aber manchmal lassen die Chinesen es nicht zu, so genannt zu werden, weil sie der Meinung sind, dass man sie nicht so nennen darf, wenn sie einen nicht als Schüler angenommen haben (weil sie einen nichts gelehrt haben). Es ist aber trotzdem keine ernste Sache, wenn man es tut.
Die Anforderungen daran ein Meister (Shifu) zu sein haben sich seit der Antike bis heute nicht geändert, als erstes muss man einen hohen Level in seiner Kunst innehaben. In dieser Hinsicht gibt es keine genau definierte Zeitspanne bzw. genau definierte Anzahl an Jahren, die man gelernt haben muss, da es vom Praktizierenden selbst und der Zeit abhängt, die er seiner Kunst widmet, gleichwohl eine Kunst es gebietet, dass man sie ein Leben lang studiert. Aber wenn man sie innerhalb der Zeitspanne seines Lebens nicht gut gelernt hat, bedeutet das, dass die Methode der Schule nicht die richtige war.
Zweitens muss man die Genehmigung seines Meisters besitzen. Der Meister des zukünftigen Meisters muss bestätigen, dass sein Schüler die Bedingungen erfüllt, um seine eigenen "Innereren Schüler" einzubringen. [Anmerk.: Häufig wird das Erreichen eines meisterlichen Niveaus nicht nur vom eigenen Meister, sondern von anderen Meistern, manchmal auch ganz unterschiedlicher Stilrichtungen, bestätigt. So eine schulfremde Bestätigung wird gewöhnlich höher eingeschätzt als wenn ein Meister seinen eigenen Schüler zum Meister erklärt.]
Drittens muss die Initiationszeremonie durchgeführt werden. Der zukünftige Meister muss seine Schüler vor den Augen von Zeugen als Dizi aufnehmen. Die Dizi werden sich verbeugen und einen Eid auf den Meister und die Tradition nach den Regeln der jeweiligen Schule leisten. So wird der Schüler des Meisters zum Meister und der Meister zum Altmeister. [Anmerk.: Diesen Punkt halte ich für fragwürdig, mir sind zahlreiche Meister bekannt, die es ablehnen Schüler aufzunehmen oder überhaupt nicht unterrichten.]
"Meister" und "Meister" 師父 Shifu und 師傅 Shifu.
師父 ist derjenige, über den wir sprechen, und 師傅 ist der Maurermeister auf dem Bau, der Taxifahrer, der Busfahrer, usw.. Viele Praktizierende im Ausland, die südliche Kampfkünste trainieren, und Leute aus Hongkong, alle Kantonesen benutzen dabei die Aussprache SIFU. Das ist die korrekte Kantonesische Variante.
Auf der anderen Seite verwenden diejenigen, die nördliche Systeme praktizieren, Mandarin, das in China der Standard ist und in den Schulen gelehrt wird. Und auf Mandarin sagt man SHIFU. Die Aussprache samt Tonlage ist die gleiche für den Bauherrn und den Meister einer spezifischen Kunstfertigkeit, aber die Schriftzeichen ändern sich, wenn man eine Vater-Sohn Beziehung mit seinem Meister hat.
- Meister der südlichen Stile nennt man Sifu(師父)
- Zu den Meistern der nördlichen Stile sagen man Shifu(師父) [Anmerk.: Das hängt allerdings von der gewählten Aussprachevariante ab. Auch Kantonesen, die Mandarin sprechen, nennen ihre Meister der südlichen Stile Shifu.]
- Die Trainer des modernen Wushu und Sanda nennt man Jiaolian(教练)
- Wushu-Meister, die dich unterrichten, aber nicht dein Meister sind, werden Laoshi genannt (老師), und wenn du nicht weißt, ob er ein Meister, Lehrer oder Trainer ist, nenne ihn Laoshi (aus Respekt). [Anmerk.: Viele moderne Kampfkunstlehrer wollen nicht mehr Shifu genannt werden, ziehen die Bezeichnung Lehrer, Laoshi vor!]
- Meister, die man kennt, die aber nicht die eigenen Meister sind, spricht man mit "Nachnamen + Shifu" an, nicht nur Shifu, da nur der eigene Meister Shifu genannt wird.
Arten von Inneren Schülern:
入門弟子 rù mén dì zǐ
Dizi, die die Schule betreten:
In traditionellen chinesischen Häusern gab es in der Vergangenheit früher ein großes Tor, Höfe, eine Haupthalle und Innenräume. Es gab einen "Eingang-Dizi", der durch die Hoftür in die große Halle eintrat und Mitglied dieser Schule wurde, aber das Innere, die Räume des Meisters nicht ohne Aufforderung betreten durfte.
入室弟子rù shì dì zǐ
Dizi, die den Raum betreten:
In den Analekten (Gesprächen, Lùn yǔ 論語 ) sagte Konfuzius : "Du wurdest in die Halle gelassen, aber du hast den Raum noch nicht betreten" 子曰:"由也升堂矣,未入于室也". Was konkret bedeutet:
Konfuzius sagte zu Zilu: "Zilu, dein Lernen ist gut, aber nicht tief genug."
Daher beinhaltet das "Betreten des Raumes" die Bedeutung des Verstehen und Beherrschens der Fähigkeiten des Meisters. In der Vergangenheit adoptierte der Meister seine "Innereren Schüler"/Dizis oft alleine. Die Dizis lebten im Haus des Meisters, und der Meister bildete sie aus, kam für seine Adepten auch finanziell auf. Sie betrachteten die Dizis wie ihre eigene Familie. Das ist es, was ursprünglich "Dizi, die den Raum betreten" genannt wurde.
關門弟子 guān mén dì zǐ
Dizi, die die Tür (Schule) schließen:
Der Dizi, der die Tür schließt, diese Bezeichnung bezieht sich auf den letzten Dizi, der vom Meister aufgenommen wird. Danach wird die Schule geschlossen und man nimmt keine direkten Dizis mehr an. Stattdessen können die Dizis ihrerseits Dizi-"Enkel" aufnehmen, und geben dann [Anm. der Übers.: das Wissen] an ihre Dizis weiter. Im Allgemeinen sind die Dizis hinter verschlossenen Türen die Lieblingsschüler der Meister, so dass sie eine besondere Stellung unter allen Dizis einnehmen. [Anmerk.: Man glaubte lange, dass sie das höchste Niveau des Meisters vermittelt bekommen hätten, was allerdings heutzutage wegen der nachlassenden Körperkräfte vieler Meister im Alter angezweifelt wird. Daher spricht man heute auch von frühen bzw. späten Schülern eines Meisters, die sich in Verständnis und Ausführung der gleichen Lerninhalte oft erheblich unterscheiden.]
親傳弟子 qīn zhuàn dì zǐ
Dizi in familiärer Abfolge:
Bezieht sich auf den Nachfolger, der von seinem Vater direkt gelehrt wird und später die Schule übernehmen wird.
Die Dizi haben Rechte und Pflichten, die alle zuvor mit den "Regeln des Meisters", 師規 shī guī mitgeteilt wurden (es gibt viele und verschiedene).
Im Wushu gibt es mehrere Arten von Meistern, wenn die Chinesen "Mingshi" sagen, können das zwei verschiedene Arten sein, da die Aussprache von "Míngshī 名師" und "Míngshi 明師" die gleiche ist, 名師 bedeutet berühmter Meister und 明師 kompetenter Meister. Das heißt nun, dass der erste zwar berühmt sein kann, aber möglicherweise nicht kompetent ist, und der zweite nicht berühmt ist, aber er derjenige ist, der die Kunst, die er praktiziert, versteht und beherrscht, er ist derjenige, der auch den Dizi zu seinem maximalen Potential führen kann.
Auf der anderen Seite gibt es Meister die beide Eigenschaften haben, sie sind berühmt und auch kompetent, sowie Meister, denen beides fehlt, d. h. sie sind nicht berühmt und nicht kompetent.
Der Meister ist eine Person, die ich respektiere, bewundere und die meine Zuneigung im Laufe der Zeit verdient hat, außerdem, wenn es einen Meister gibt, der bereit ist zu lehren, und einen Schüler, der bereit ist zu lernen, ist dies der einzige Weg, auf dem die Beziehung zwischen Meister und Schüler entstehen kann. [Anmerk.: Gewöhnlich sucht sich der Meister seine Dizis selbst aus, wirft den einen oder anderen nach Fehleinschätzung auch wieder raus oder verweigert einfach von vorne herein eine Annahme des potentiellen Schülers.]
Meister 師父 (Shifu) besteht aus zwei Schriftzeichen, das eine kommt von 老師 (Laoshi) und bedeutet Lehrer, das andere stammt von 父親 (Fuqin), was Vater bedeutet.
Ein Meister der Kampfkünste ist KEINE perfekte, unbesiegbare Person mit unendlichem Wissen oder ähnlichem. Aber der wahre Meister ist derjenige, der mit seinen Worten die Herzen der Menschen verändern kann, und sie zu fördern vermag, um auf ihr höchstes Level zu gelangen.
Ein Shifu zu sein gleicht weder der Position eines Universitätsabschlusses noch einer Position in einer Firma, sondern beschreibt als Grundgedanken eine familiäre Bindung mit dem Schüler einzugehen, dessen Lehrvater, Shifu zu sein. Der Schüler wird ein "Innerer Schüler"" , was so wichtig ist, dass die Experten in China sagen: Die Zeremonie der Nachfolge 拜師儀式 (bāi shī yí shì) ist so wichtig wie die Ehe. Sie ist deshalb ein Band für das ganze Leben. [Anmerk. der Übers.: Wie in Ehen kann es auch hier aus verschiedensten Gründen Trennungen geben, so dass das vermeintliche Band für das Ganze Leben dann doch nicht ein Leben lang hält.]
HINWEIS:
Nicht alle Meister vollziehen diese Zeremonie, denn tatsächlich zählt einzig und alleine die enge Beziehung, die man mit dem Meister hat (und das ist etwas, was man mit Geld nie kaufen kann). Dieser Punkt ist grundlegend in dem Moment, in dem der Meister beschließt, dir seine Essenz in der Kunst beizubringen; andernfalls kann es sein, dass er dir dein ganzes Leben lang nur das Oberflächliche zukommen lässt.
Allen, die chinesische Kampfkünste studieren, muss klar werden, dass sie nicht nur eine Kampfmethode studieren, sondern auch eine andere Kultur als die des Westen, und wenn man diese Kultur mit den Augen der Westler betrachtet, wird man nie den Wert schätzen können, den die Chinesen vermitteln möchten.
Und zu guter Letzt, man sagt dass man nicht selbst entscheidet ein Meister zu sein, sondern dass der Moment von sich aus kommt.
[Anmerk. der Übers: In der heutigen Zeit gibt es aber auch Meister, die das 拜師儀式 (bāi shī yí shì) als lukratives Geschäftsmodell für sich entdeckt haben. So werden hunderte von "Dizis" für die Zahlung hoher Geldbeträge in die Tradierungslinien dieser Meister aufgenommen. Die Aufgenommenen können sich damit als "Nachfolger" in bestimmten Tradierungslinien bezeichnen, und mit dieser vermeintlichen "Qualifikation" für sich und ihren Unterricht werben.
Mit solchen Praktiken entsteht keine echte familiäre Vater-Sohn Beziehung auf Grundlage einer emotionalen Bindung beider Herzen. Statt dessen werden Abhängigkeiten geschaffen in denen die "Jünger" blind ihrem "Meister" folgen und manchmal gar nicht mehr in der Lage sind die Dinge auf einer rationalen und logischen Ebene zu betrachten, sondern nur noch Glaubenssätze unreflektiert wiederholen, vergleichbar mit einem Religionsführer und seinen Jüngern. Oder aber es entstehen klare Geschäftsbeziehungen in denen beide Parteien voneinander profitieren.
Tiefes Wissen wird solchen vermeintlichen "Dizi" in den wenigsten Fällen vermittelt. Aus diesem Grund sollte man das Thema 拜師儀式 (bāi shī yí shì) mit einem wachem Verstand betrachten, denn auch im Westen wird diese lukrative Praxis gerne übernommen.
Die echte familiäre Bindung zwischen Meistern und Schülern, und den Schülern untereinander entsteht dadurch, dass diese täglich zusammenkommen um eine Kampfkunst auf der einen Seite leidenschaftlich und tiefgründig zu lehren, und auf der anderen Seite genauso leidenschaftlich und tiefgründig zu studieren. Man teilt die Begeisterung für diese eine Sache miteinander, und auf natürliche Weise beginnt man auch andere Dinge im Leben miteinander zu teilen, die Höhen und Tiefen.
Die emotionale Bindung zwischen Menschen die in einer echten Kampfkunsttradition stehen, entsteht auf Grundlage des Herzens, und auf eine ganz natürliche Weise, und bedarf im Grunde keines Rituals, kann aber der Tradition folgend, mit einem solchen besiegelt werden. Sie ist das wertvollste was das Studium einer Kampfkunst bei einem wahren Meister, der bereit ist sein ganzes Wissen mit jemandem zu teilen mit sich bringt, aber auch der Schüler muss seinen Anteil dazu beitragen. Es ist ein Geben und Nehmen auf beiden Seiten, Yin und Yang im Gleichgewicht.]
Übersetzt aus dem Spanischen und kommentiert von Annemarie Leippert, editiert und kommentiert von Dr. Hermann Bohn.
*Dem Originalartikel wurde nachträglich noch ein Abschnitt über den Ablauf des Aufnahmerituals für Schüler hinzugefügt, der hier noch nicht übersetzt wurde.